Disclaimer: Text stammt aus dem Jahr 2018. Inhalt und Zeitangaben wurden seitdem nicht überarbeitet.
„Es gibt viele schöne Dinge, über die man herrlich lachen kann. Es wäre schade, das nicht zu tun.
„Herr P. ist ein unangenehmer Bursche, ein ungehobelter Schurke. Ich streite mich täglich mit ihm, mal mehr, mal weniger.“ „Herr P.“, so nennt
seine Parkinsonerkrankung.Eine unheimliche Begegnung
Das erste Mal begegnet er „dem unheimlichen Kerl“ bei einer TV-Produktion, die er moderieren soll. „Bei den Dreharbeiten packte mich das große Zittern. Irgendetwas bewegte meine Muskeln gegen meinen Willen“, erinnert sich der Marburger Theologe. Es war Januar, es war kalt. Heizlüfter wurden herbeigeholt. Doch der damals 58-Jährige ahnt, was wirklich los ist. „Herr P. hatte sich eigentlich schon lange vorher angekündigt“, räumt er ein.
„Natürlich wäre es besser gewesen, wenn ich direkt reagiert hätte. Zum Arzt gegangen wäre. Früher Medikamente genommen hätte. Aber ich wollte es nicht wahrhaben. Ich habe es weggedrückt.“ Es folgen verschiedene Arzttermine und Untersuchungen. Schließlich bestätigen Bilder vom Gehirn die Diagnose Parkinson. Das liegt über vier Jahre zurück. Der heute 62-Jährige hat sich mit seinem „ungebetenen Gast“ arrangiert. „Manchmal hat Herr P. mehr Macht über mich, an anderen Tagen ist er friedlicher“, schildert er. „Besonders feuert es ihn an, wenn mich etwas sehr berührt.“ Als Geschäftsführer einer von Spenden abhängigen Medienstiftung bringen ihn Sorgen über Finanzen und die Zukunft von Mitarbeitern zusehends aus dem Lot.
„Mein Körper bebt, die Tränen laufen“, beschreibt der ausgewiesene Musikliebhaber die Auswirkungen, die ein Konzertbesuch auf ihn haben kann. „Ich genieße es trotzdem. Wenn die Leute um mich herum betroffen tuscheln, beuge ich mich kurz zu ihnen und sage: ,Machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe Parkinson.‘„Ich liebe es, Menschen zu treffen und geistvolle Gespräche zu führen. Ich genieße es, in die Welt der Musik einzutauchen. Und sammle Stoff für Bücher, die ermutigen und in denen der Humor nicht zu kurz kommt. Für all das wünsche ich mir ausreichend Zeit.“
„Entschuldigen Sie, ich habe Parkinson.“
Auch in anderen Lebenslagen ist Mette direkt. „Wenn an der Supermarktkasse zehn Menschen hinter mir warten und ich die Kontokarte nicht schnell genug aus dem Portemonnaie bekomme, sage ich: ,Entschuldigen Sie, das dauert ein bisschen. Ich habe Parkinson.‘ Oder ich erkläre es der Kassiererin und bitte sie um Hilfe. Stress würde ohnehin nur alles verschlimmern.“ Mit Offenheit schützt er sich gleichzeitig vor falschem Mitgefühl. „Bevor man mir alles abnimmt, stelle ich am Buffet lieber klar: ,Ich habe Parkinson. Aber deshalb müssen Sie mir nicht helfen.‘ Ich möchte mein Leben so weit wie möglich selbst in der Hand behalten.“
Den Menschen die Verlegenheit nehmen
Ehrliche Worte nehmen den Menschen auch ihre Unsicherheit, erlebt Mette. „Der Parki fällt nun mal auf. Er zittert, er ist langsam, er bleibt stehen. Viele wissen nicht, wie sie mit dieser Situation umgehen sollen. Also oute ich mich, bevor die Gesunden verlegen werden.“ Erntet er auf der Straße aus der Entfernung verständnislose Blicke, bleibt er gelassen. „Sollen sich die Leute ruhig fragen, ob ich schwanke, weil ich betrunken bin. Sie können es ja nicht wissen.“ In passenden Situationen lockert der Geistliche die Stimmung auch schon einmal mit einem „knackigen Parki-Witz“ auf. „Humor ist ein Wundermittel gegen Befangenheit“, schmunzelt er. „Und natürlich sind Witze über Parkinsonleute erlaubt. Humor hilft mir
„Ich bin nicht mehr so fixiert auf das Äußere.“
Dunkle Momente gehören dazu
Trotzdem gibt es schlaflose Nächte, Gefühle wie Verzweiflung und Angst. „Der Beistand meiner Frau hilft mir dann sehr“, sagt Jürgen Mette dankbar. Auch sein Glaube gibt ihm Kraft. „Nichts ist wichtiger, als mit seiner Situation in Frieden zu leben“, so der evangelische Theologe. „,Heil sein ist wichtiger, als geheilt zu sein‘ nenne ich das. Ich predige viel darüber. Das ist übrigens unglaublich: Wenn ich predige, also meine Berufung lebe, habe ich so gut wie keine Symptome.“ „Herr P.“ hat viel verändert in seinem Leben. Als Geschäftsführer ist er vor Kurzem zurückgetreten. „Man muss einsehen, was nicht mehr geht und nicht mehr tragbar ist“, konstatiert Mette. Er achtet nun mehr auf Ruhepausen, arbeitet als bundesweit tätiger Referent häufiger von zu Hause aus. Manchmal fordert er sich aber auch heraus. „Neulich habe ich ein Baumhaus für meine Enkel gebaut. Als gelernter Zimmermann wollte ich sehen, ob ich das noch schaffe. Es ist wunderschön geworden – und ich war unendlich stolz.“
Durch die Krankheit sei auch Gutes in sein Leben getreten, sinniert er.
„Ich habe tolle Menschen kennengelernt, die ich sonst nie getroffen hätte. Ich schiebe nicht mehr auf, was ich machen möchte. Mit Vollgas auf der Überholspur, die Zeiten sind vorbei. Ich konzentriere mich jetzt auf das Wesentliche. Es ist – und das sage ich sehr, sehr vorsichtig – eine neue Lebensqualität.“
hofft, sein „zweites Leben nach der Diagnose“ mithilfe der Medikamente möglichst lang aufrechterhalten zu können. „Bislang läuft das gut. Allerdings bremsen die Mittel meine Disziplin“, sagt er selbstkritisch – und mit einem Augenzwinkern: „Früher war ich sehr sportlich. Heute bin ich dem Crosstrainer gegenüber sehr widerstandsfähig.“
Auch in Zukunft lesen, schreiben, predigen
Über seinen Alltag mit Parkinson, über Krankheit und Glauben hat der wortgewandte Marburger ein
Über hundertmal hat er aus „Alles außer Mikado. Leben trotz Parkinson“ bereits öffentlich gelesen. Das möchte er weiterhin tun. Er arbeitet auch an neuen Büchern. Im Kalender stehen zahlreiche Predigt- und Vortragstermine. „Herr P.“ wird ihn bei all diesen Vorhaben begleiten. Doch die Regie führt Jürgen Mette.