„Man muss dranbleiben!“*

Autor: Petra Sperling | 03/2018

„Ich bin ein Bewegungsmensch und war immer mobil und unabhängig. Es ist mir wichtig, das trotz Parkinson zu erhalten.“

„Schauen Sie mal, man braucht kaum Kraft: Sie treten nur leicht an und rollen direkt los.“ Hans Hiesberger strahlt, wenn er sein dreirädriges Fahrrad „Man muss dranbleiben!“ mit Elektromotor und sicherem Sitz für den Fahrer vorführt. Möglichst täglich ist er damit unterwegs. „Ich komme im Jahr auf 6.000 Kilometer. Das ist mehr als meine Frau mit dem Auto fährt“, schmunzelt der 75-Jährige mit dem fröhlichen, von Wind und Wetter gegerbten Gesicht. Er selbst fühlt sich für den Platz hinter dem Steuer nicht mehr fit genug und lässt den Wagen lieber stehen. Auch das klassische Zweirad scheidet aus. Zu groß ist die Gefahr, dass er das Gleichgewicht verliert und stürzt. Umso glücklicher ist er, dass er vor zwei Jahren sein Spezialgefährt entdeckt hat. „Ich bin ein Bewegungsmensch und war immer mobil und unabhängig. Mit dem Rad kann ich mir das trotz Parkinson erhalten.“

Von seiner Erkrankung weiß der gebürtige Wiener, der mit seiner Frau in Maintal-Wachenbuchen bei Hanau lebt, seit 17 Jahren. Veränderungen, die er aus heutiger Sicht dem Parkinson zuordnet, bemerkt er schon früher. „Ich bekam plötzlich grundlos Angstgefühle“, blickt er zurück. „Meine Frau und ich hatten im Urlaub ein Segelboot gemietet. Ich bin ein Stück damit rausgefahren – und direkt wieder umgekehrt: Ich hatte Angst! Das kannte ich überhaupt nicht von mir, ich bin eher der ‚No risk, no fun’-Typ.“ Auf der Fahrt nach Hause halten die Beklemmungen an. „Das Cabrio musste offen bleiben, weil ich im geschlossenen Wagen panisch wurde“. Auch körperlich geht es dem dynamischen, sehr sportlichen Mann nicht gut. Seine Beine sind unruhig, er schläft schlecht, kann nicht richtig laufen, eine Schulter schmerzt. Ein Tennisfreund, dem die verkürzten Schritte seines Spielpartners auffallen, rät ihm, sich auf Parkinson untersuchen zu lassen.

Abschiede akzeptieren

Das eindeutige Ergebnis seines Besuchs beim Neurologen wirft Hans Hiesberger in ein tiefes Loch. „An einer nicht heilbaren, fortschreitenden Erkrankung zu leiden, hat mich regelrecht depressiv gemacht“, erinnert er sich mit ernster Miene. Er sei immer einer gewesen, der alles ausprobieren musste. „Man muss dranbleiben!“ „Fliegen, Fallschirmspringen, Paragliding, Skitouren, Regatten segeln – das war meine Welt. Die schlimmste Vorstellung für mich war, ins Grab zu fallen und etwas nicht gemacht zu haben, was mich gereizt hätte. Tauchen stand zum Beispiel noch auf meiner Liste. Das ging nun alles nicht mehr und das war bitter.“

Austausch und Kontakt mit anderen geben Halt.

Schweren Herzens gibt der Ingenieur nach 45 Jahren Betriebszugehörigkeit seinen Geschäftsführerposten in einer kleinen Firma auf und geht in Frührente. „Ich konnte meine eigene Schrift nicht mehr lesen, da lag es auf der Hand, dass ich nicht bleiben kann.“ Doch es rührt sich auch die Kämpfernatur in ihm. Er will möglichst aktiv bleiben und weiterhin das Leben genießen. „Man muss dranbleiben!“ Zusammen mit seiner Frau besucht er eine Selbsthilfegruppe in Hanau, um mehr über die Erkrankung und mögliche Therapien zu erfahren. Er entdeckt Feldenkrais für sich, ein Lern- und Übungssystem für mehr Körperwahrnehmung und Beweglichkeit, und trainiert regelmäßig. Wichtig ist ihm, möglichst lange alleine zurechtzukommen. „Ich achte deshalb darauf, etwas nicht zu früh aufzugeben, etwa auf Klettverschlüsse umzusatteln, weil es mit den Knöpfen nicht mehr so schnell geht. Denn was ich nicht mehr mache, das verlernt mein Gehirn. Also übe ich es, so lange es geht. Man muss dranbleiben!“

Hans Hiesberger hadert nicht damit, dass Parkinson seinen Alltag verändert hat. „Sicher, man muss sein Leben umstellen. Das heißt aber nicht, dass es dann schlechter ist. Es ist anders.“ Mit viel Elan erschließt er sich neue Bereiche. In seinem Buch „65 Jahre Hans Hiesberger“ bündelt er Fotos und eigene Texte über seine bewegte Vergangenheit. Er entdeckt die Malerei, findet Spaß am Kochen und lernt Saxofon „Man muss dranbleiben!“ – nicht zuletzt, um die Auswirkungen seiner Erkrankung einzudämmen. „Der Arzt meinte, ich solle täglich eine Stunde ein Holzblättchen zwischen den Lippen halten. Das sollte die Muskulatur stärken, die ich für eine klare Aussprache brauche. Aber das war ein ‚blödes Spiel’, um es mit den Worten meiner Enkelin zu sagen“, grinst der zweifache Großvater. Er erkundigt sich, wie er anders vorgehen kann – und findet heraus, dass Saxofon spielen ähnliche Effekte hat. „Also habe ich mir ein Instrument gekauft und mich zum Unterricht angemeldet. Seit acht Jahren spiele ich regelmäßig und habe viel Freude daran.“ Mit zwei Mitstreitern hat der Hobbymusiker sogar ein Konzert gegeben – vor 200 begeisterten Zuhörern in der Kirche.

Menschen zusammenbringen

Aufmerksam für die schönen Dinge im Leben sein.

Hans Hiesberger ist ein geselliger, fröhlicher Mensch, der aus seiner Parkinson-Erkrankung keinen Hehl macht. Als er in der Tageszeitung liest, dass sich ein betroffener Maintaler wundert, kaum weitere Menschen mit Parkinson zu kennen, ruft er einen Stammtisch für Betroffene ins Leben. Heute, elf Jahre später, organisiert der Gründervater weiterhin Fachvorträge, Ausflüge und Feste für die fast 40 Mitglieder. „Der Austausch tut einfach gut – und wer mit Parkinson allein bleibt, tut sich keinen Gefallen“, erklärt er. „Wer nicht von sich aus kommt, den spreche ich daher gezielt an. Sie sind natürlich überrascht, wenn ich unangemeldet bei ihnen vor der Tür stehe. Aber die meisten kann ich überzeugen, sich unseren Stammtisch einmal anzuschauen.“ Zusätzlich organisiert seine Frau Beate alle zwei Monate ein Treffen für Angehörige. „Es hilft ihnen sehr, sich hin und wieder nur unter sich auszutauschen“, weiß ihr Ehemann. Stolz ist er auch auf einen Film über Parkinson, den er mit einem professionellen Team und Sponsorengeldern realisiert hat. „Er informiert über die Erkrankung und zeigt vor allem: Man hat mit Parkinson noch ein Leben.“

Was ich nicht mehr mache, verlernt mein Gehirn. Also übe ich es, so lange es geht. Man muss einfach dranbleiben!“

Hans Hiesberger selbst ist dafür das beste Beispiel. Seine Tage sind erfüllt, sein soziales Netz ist weit gefächert. Möglich ist ihm sein aktives Leben mithilfe einer Medikamentenpumpe, die er seit eineinhalb Jahren trägt. Die Umstellung auf diese Therapieform wurde nötig, da Tabletten gegen Parkinson nicht mehr ausreichend wirkten. Hat Hans Hiesberger trotz allem einmal einen weniger guten Tag, schwingt er sich in den Sattel, um den Kopf freizubekommen. „Wenn ich mich in die Ecke setze, komme ich aus dem Tief nicht raus“, weiß er. Ebenso wichtig sei, das Positive zu sehen, auch im Kleinen. „Als ich die Pumpe neu hatte, konnte ich zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder freihändig duschen“, gibt er ein Beispiel. „Im Grunde ist das keine große Sache – aber es war ein großartiges Gefühl, das ich ganz bewusst genossen habe!“

* Text stammt aus dem Jahr 2017. Inhalt und Zeitangaben wurden seitdem nicht überarbeitet

„Man muss dranbleiben!“
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